Dienstag, 4. August 2009

Das Liebeslied

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Ein Dichter schrieb einmal ein Liebeslied, und es war wunderschön. Er fertigte davon viele Abschriften an und sandte sie seinen Freunden und Bekannten, männlich wie weiblich, und sogar einer jungen Frau, der er nur ein einziges Mal begegnet war und die jenseits der Berge lebte.

Und ein, zwei Tage darauf kam ein Bote von der jungen Frau und überbrachte ihm einen Brief. Darin schrieb sie: "Seid versichert, das Liebeslied, das Ihr für mich geschrieben, hat mich tief berührt. Kommt sofort und sprecht mit meinen Eltern, und wir wollen unsere Verlobung ausrichten."

Der Dichter beantwortete den Brief und schrieb der Frau: "Meine Freundin, das war nur ein Liebeslied aus einem Dichterherzen, von jedem Mann für jede Frau gesungen."

Und sie schrieb ihm abermals und sagte: "Heuchlerischer Lügner! Von diesem Tag an, bis ich zur Grube fahre, werde ich um Euretwillen alle Dichter hassen!"


aus "Der Wanderer" von Khalil Gibran


Das war eine der ersten Geschichten, über welche ich zu Beginn meiner "philosophischen Phase" gestolpert bin.

Muss man da nicht einfach dem Genre verfallen? Ist das nicht ein wunderbares Bild von der Unterschiedlichkeit persönlicher "Wahr-"nehmung ein und derselben Wahrheit? Dafür, womit wir täglich zu tu'n haben?

Könnten wir uns nicht jede Menge Management-, Gruppendynamik-, Konfliktlösungs- und Kommunikationsseminare sparen, wenn wir nur diese Zeilen aufmerksam läsen und verinnerlichten? Weil's eben "menschelt"?


"Mein Team" am Beginn eines zweitägigen Outdoor Team-Buliding am 31. Juli 2009 in einem Wald nordwestlich von Kyiv. Ein Haufen Leutchen, die mir verdammt am Herzen liegen ...



Sepp

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